Die jüngste Exkursion des HALIS-Instituts am 23.02.2024 führte nach Bitterfeld-Wolfen und sollte als Vorbereitung der Erarbeitung von Transformationsparcours sowie einem anstehenden Besuch der Region dienen.
Für einen ersten Austausch und persönliche Einblicke in die Stadtentwicklung, kamen wir zu einem informativen Austausch mit Herrn Hermann, dem Amtsleiter für Stadtentwicklung und Strukturwandel, dem Bereichsleiter der Stadtplanung, Herrn Drießen, und dem Geschäftsführer der Stadtentwicklungsgesellschaft Bitterfeld-Wolfen mbH, Herr Kaaden, zusammen.
Anschließend erkundeten wir Wolfen-Nord, ein ehemaliges Trabentenstadtgebiet, das in der Wendezeit fast 18.000 Einwohner:innen beherbergte. Heute leben dort nur noch 4000 Menschen, und es wurde erheblich in den Rückbau der Stadt investiert. Große fünfstöckige Wohnblöcke wurden auf zwei bis drei Geschosse reduziert, während neuere Wohnkomplexe aus den späten 1980er Jahren zuerst abgerissen wurden. Der Stadtteil wurde im Zuge dieses Rückbaus durch großzügige Grünanlagen erweitert, wobei das Stadtteilzentrum bis heute erhalten geblieben ist.
Auch das Industrie- und Filmmuseum sowie der sogenannte „Silbersee“ wurden besucht. Letzterer soll in den kommenden Jahren vollständig verfüllt werden. Allerdings beherbergt der morastige Boden noch immer giftige Lignin-Schlemme, welche auf langfristige Belastungen durch die (Chemie-)Industriestädte Wolfen und Bitterfeld – diese wurden erst in den 1990er Jahren politisch zusammengeschlossen – zurückzuführen sind. Heute wird versucht, das kontaminierte Grundwasser durch aufwendige Pump- und Filterprozesse daran zu hindern, weitere grundwasserführende Leiter zu verschmutzen. Diese Rückstände gelten bis heute als Referenz für industrielle Ewigkeitslasten oder „Altlastensyndrom“, die im Ortsbezug auch als „Bitterfeldsyndrom“ bekannt sind.
Die Exkursion endete im Stadtkern von Bitterfeld mit dem Aufstieg auf den Bitterfeldbogen. Von hier oben stach besonders der starke Kontrast sowie die Größe des Industrieparks zur Siedlungsfläche hervor. Neben der alten wie neuen Industriepräsenz spielt der Goitzschesee als Urlaubs- und Tourismusziel eine wichtige Rolle in der jüngeren Stadtentwicklung. Dieser birgt jedoch ebenfalls eine industrielle Vergangenheit, da er als ökologisches Vorzeigeprojekt aus dem ehemaligen Braunkohletagebau Goitzsche hervorgegangen ist.
In Bitterfeld-Wolfen zeigt sich ein dialektisches Zusammenspiel aus Erinnerung und Vergessen, industriellen Aufstiegen wie Niedergängen, Kontamination und nachhaltiger Entwicklung. Die beiden besuchten Seen verdeutlichen diese materiellen Antagonismen: Während der Silbersee noch immer als Schandfleck toxischer Industriegeschichte bekannt ist, gilt der Goitzschesee als stolzes Beispiel für die erfolgreiche ökologische Umgestaltung der ausgekohlten Landschaft. Doch nicht nur das Landschaftsbild hat sich zum positiven entwickelt, vielmehr ist es auch dem Chemie- und Industriepark gelungen, mit der Ansiedlung hochinnovativer und nachhaltiger Unternehmen zum überregionalen Vorzeigeprojekt zu werden.
Hier, zwischen Seepromenade, Altlastengrube und Photovoltaikwerk kann eindrucksvoll der aktuelle Strukturwandel erlebt und die Transformationsgeschichte der letzten 200 Jahre nachgezeichnet werden.
Fotos: Felix Kolb