Unter diesem Leitmotiv stand besonders der erste Tag der Konferenz „Postfossile Zukünfte: Strukturwandel gemeinsam gestalten“ des Instituts für Strukturwandel und Nachhaltigkeit (HALIS) in Zusammenarbeit mit der Stabsstelle Strukturwandel des Landes Sachsen-Anhalt. Dass ein Strukturwandel nur gemeinsam und in Kooperation mit allen Stakeholdern funktionieren kann, ließ sich am ersten Konferenztag unisono aus allen Impulsbeiträgen heraushören: Ein verbindendes Element von der EU-Ebene bis in die Kommune hinein bzw. „vom Adlerblick über die Froschperspektive bis hinunter in die Kohlegrube“, so die wiederkehrende Metaphorik der Redebeiträge.
Mit diesen Worten eröffnete die Rektorin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Prof. Dr. Claudia Becker, die zwei-tägige Konferenz. Der erste Konferenztag stand ganz unter der Maßgabe: Praktiker:innen aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft „plaudern aus dem Nähkästchen“ und präsentieren ihre eigene Perspektive auf den Strukturwandel, mit allen Hürden, Herausforderungen und Chancen, die damit einhergehen.
Großen administrativen Aufwand generieren die Ansprüche einer integrativen, an den Bedarfen der regionalen Bevölkerung orientierten Strukturpolitiken (bottom-up). Wolle man diese Vorstellungen und Wünsche in geeignete Förderprogramme integrieren, seien die Präsenz vor Ort, eine Partnerschaft auf Augenhöhe und eine Befähigung der örtlichen Bevölkerung zur Partizipation essentiell, betonte Frau Dorte Pardo López, Programmkoordinatorin bei der Europäischen Kommission in ihrem Beitrag. Auch für den Staatsekretär Dr. Jürgen Ude stelle die ebenen-übergreifende Kommunikation und integrative Leitbilder den Schlüssel zum Erfolg dar. Frau Urte Hertrampf vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) nahm in ihrem Beitrag die Konferenzgäste unter dem Motto „Strukturpolitik auf Bundesebene oder was machen die da eigentlich?“ mit hinter die Kulissen des Ministeriums und konnte anhand einiger Beispiele dessen strukturelle Arbeitsweisen verdeutlichen. Zwischen der EU, den Ländern sowie den Kommunen positioniert, gelte es mit Blick auf den Strukturwandel Übersetzungsarbeit zu leisten. Dabei stehe das Ministerium regelmäßig zwischen „Maximalpositionen“ sowie Forderungen Einzelner. Dennoch gelte für vielschichtige Entwicklungspläne: „Je schwieriger und komplexer die Aufgaben sind, desto weniger wollen teilnehmen“, so die Leiterin der Geschäftsstelle Strukturwandel Kohleregionen des BMWK.
Im Hinblick auf die aktuellen Krisen und die zunehmende Geschwindigkeit der Transformationsprozesse müsse schneller gearbeitet werden und es gelte zum Teil die Devise „einfach machen“, da breite Beteiligungsprozesse nicht immer zielführend seien, führte Frau Hertrampf aus. Für Dr. Franziska Krüger von der Stabsstelle Strukturwandel des Landes Sachsen-Anhalt durfte es noch etwas konkreter werden. Mit dem von der EU-Kommission angestoßenen Projekt New European Bauhaus (NEB) versuche das Land Sachsen-Anhalt mit verschiedenen Praxispartnern in Zeitz wie inklusives Vordenken beim Bauen funktionieren könne. Dafür brauche es ein bestimmtes Mindset, das die Vereinbarkeit von Nachhaltigkeit, Ästhetik und Inklusion zuließe und somit Innovation und Partizipation verbinde. Entscheidend sei für die Leiterin der Stabsstelle, dass die Transformationsprozesse neue Arbeitsweisen erfordern:
Viele der geladenen Referent:innen kannten sich bereits aus der Praxis. So steht auch Andy Haugk als Bürgermeister der Stadt Hohenmölsen im, engen Kontakt mit der politischen Landes- und Bundesebene. Als echter „Kerngebietler“, wie er sich selbst vorstellte, nehme er die Position am Boden ein und sei damit als politisches Oberhaupt einer stark betroffenen Gemeinde den individuellen Befindlichkeiten und Sorgen der Bevölkerung am nächsten. Zwar sei seine Stadt bereits in den Handlungsfelder Verkehrsinfrastruktur, Natur und Landschaft, Wirtschaft und Arbeitsplätze sowie Kultur, Tourismus und Erholung für die anstehende Transformation gut aufgestellt. Man würde in Leipzig als attraktiver Wohnstandort und auch Wirtschaftsstandort wahrgenommen, dennoch wäre ein frühzeitiger Kohleausstieg aus seiner Sicht nicht zu schaffen. Förderantrags- und Genehmigungsverfahren für neue Industrieansiedlungen und Verkehrsinfrastrukturausbau, sowie deren Bauzeiten stünden diametral zur Geschwindigkeit der geforderten Transition, argumentierte der Bürgermeister. Zivilgesellschaftliches Engagement stellte Prof. Dr. Ralf Wehrspohn vom Forum Rathenau e.V. mit einer Videopräsentation des CarbonCycleCultureClubs (C4) und dessen Bemühungen zum Wissenstransfer im Bereich Kohlenstoffkreislauf vor:
Abschließend präsentierte Henning Mertens von der Metropolregion Mitteldeutschland einen auf zweiundzwanzig Studien basierenden Revierkompass, der als Orientierung bei den anstehenden Transformationsprozessen dienen soll.
In der anschließenden interaktiven Ausstellung fand ein reger Austausch zwischen altbekannten und neuen Akteur:innen im Strukturwandel statt. Dabei rahmten die Stände von zivilgesellschaftlichen sowie wirtschaftsnahen Organisationen den Vernetzungsraum. Unter den Aussteller:innen waren der BUND, Pödelwitz hat Zukunft e.V., Romonta, Werkleitz, Science2Public, die Stadtwerke Halle, DGB Revierwende, ewg Anhanlt-bitterfeld, Metropolregion Mitteldeutschland, das Kompetenzzentrum kommunale Wärmewende (KWW) und das EU Exchange Network.
Der zweite Konferenztag diente dem inter – und transdiziplinären Wissenschaftsaustausch. Zahlreiche Wissenschaftler:innen referierten in den drei Panels zu Rohstoffe der Zukunft, Postfossilen Demokratien, sowie zu sozialwissenschaftlichen Perspektiven auf den Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier. Dabei diskutierten sie anhand ihrer Forschungserkenntnisse essentielle Fragen zum sozialgerechten Übergang, rechtliche Leitlinien für den Abbau und Handel postfossiler Rohstoffe und politischen Rahmenbedingungen in Deutschland aber auch in Ländern des globalen Südens.